Darkness Forest

Die Dunkelheit erwacht

Der gefrorene Garten lag hinter Lillit, doch was nun vor ihr lag, hätte unterschiedlicher nicht sein können. Der Schnee unter ihren Pfoten war hart gefroren und die Luft schien dicker zu werden, als ob die Dunkelheit selbst schwer auf ihr lastete. 

 

Der Weg führte sie zu einer weiten, offenen Fläche, wo der Schnee von einer unnatürlichen Schwärze bedeckt war. Ein dumpfes Summen erfüllte die Luft, das Lillit nicht zuordnen konnte. Sie blieb stehen und hob die Nase in die Luft. Etwas war hier – etwas, das nicht in diesen magischen Wald gehörte.

 

Plötzlich wurde das Summen lauter und die Dunkelheit vor ihr begann, sich zu bewegen. Die Spur des Hüters verschwand und vor ihr erhob sich eine riesige Gestalt aus puren Schatten.

 

„Du hast es weit geschafft“, sprach die Dunkelheit mit einer Stimme, die wie ein fernes Grollen klang. „Doch dies ist das Ende deiner Reise. Niemand darf das Herz des Winters erreichen.“

 

Lillit blieb standhaft, auch wenn ihr Herz schneller schlug. „Ich werde nicht aufgeben“, sagte sie. „Der Wald hat mich gerufen und ich werde das Herz des Winters finden.“

 

Die Dunkelheit lachte – ein tiefer, kalter Laut, der den Boden unter Lillits Pfoten erzittern ließ. „Du verstehst nicht, kleiner Hund. Das Herz des Winters gehört nun der Finsternis. Und du wirst es niemals zurückholen.“

 

Lillit wusste, dass sie gegen diese Gestalt nicht mit Kraft kämpfen konnte. Doch sie erinnerte sich an die Prüfungen, die sie bereits bestanden hatte – die Stimmen, den Sturm, den Garten. Jede Herausforderung hatte sie gelehrt, auf ihre Instinkte und ihren Verstand zu vertrauen.

 

Die Dunkelheit begann, sich um Lillit zu bewegen und das Summen wurde so laut, dass es in ihren Ohren schmerzte. „Wenn du so entschlossen bist, dann beweise es“, dröhnte die Gestalt. „Zeig mir, dass du den Schatten verstehen kannst.“

 

Um sie herum formten sich wirbelnde Bilder aus Dunkelheit. Sie zeigten Szenen, die Lillit nicht kannte – fremde Orte, fremde Gesichter. Doch eines hatten sie gemeinsam: In jedem Bild war die Dunkelheit nicht nur bedrohlich. Sie schien auch Schutz zu bieten, eine Hülle, die das Licht bewahrte.

 

„Die Dunkelheit ist keine Bedrohung, sondern ein Teil des Gleichgewichts. Ohne Schatten gäbe es kein Licht und ohne die Kälte des Winters gäbe es keine Wärme.”

 

Die Dunkelheit hielt inne, ihre Bewegungen wurden langsamer.  

 

Lillit hob den Kopf und sprach fest: „Du bist nicht mein Feind. Du bist genau so ein Teil des Waldes, wie das Licht und das Leben.“

 

Das Summen verstummte und die Gestalt schien kleiner zu werden. „Du bist weise“, sagte sie schließlich. „Doch dies ist nur ein Teil der Wahrheit. Geh weiter und finde, was du suchst. Vielleicht…“

 

Die Dunkelheit zog sich zurück und die Spur des Hüters erschien wieder, klarer als je zuvor. Lillit atmete tief durch, ihre Pfoten fühlten sich sicherer auf dem kalten Boden an. Sie hatte nicht nur eine weitere Prüfung bestanden, sondern auch etwas über die Dunkelheit selbst gelernt: Sie war nicht das Gegenteil des Lichts, sondern sein Begleiter. Zwei Seiten der selben Medaille. 

 

Mit neuer Entschlossenheit setzte Lillit ihren Weg fort. Der Wald schien sich zu öffnen, das Herz des Winters zum Greifen nah.

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