Je tiefer sie in den Wald gelangte, desto intensiver schien das Leuchten um sie herum zu werden. Die Bäume wirkten lebendig, als würden sie sich leicht im Wind wiegen, obwohl kein Lüftchen wehte.
Dann hörte sie es: ein leises, rhythmisches Klopfen. Es kam von irgendwo vor ihr, genau in der Richtung der Spuren. Mit angehaltenem Atem schlich sie näher. Der Schnee wurde fester unter ihren Pfoten und der Wald schien sich zu verändern. Die Farben wurden dunkler, die Schatten tiefer. Lillit spürte ein leichtes Prickeln in der Luft – eine Energie, die sie nicht beschreiben konnte.
Das Klopfen verstummte, und plötzlich stand sie auf einer kleinen Lichtung. Dort, in der Mitte des Schnees, war ein gefrorener Teich, der wie ein Spiegel im Mondlicht glitzerte. Am Rand des Teichs stand eine Gestalt – groß, in einen schimmernden, pelzigen Umhang gehüllt. Die Kapuze verdeckte das Gesicht, doch zwei Augen blitzten Lillit aus der Dunkelheit entgegen. Es war ein Schneewandler.
„Du bist also gekommen,“ sagte die Gestalt mit einer tiefen, ruhigen Stimme. Es klang weder freundlich noch feindlich, eher wie eine Feststellung. „Weißt du, warum der Wald dich gerufen hat?“
Lillit zögerte. Sie spürte das Kribbeln von Unsicherheit, doch sie war entschlossen, Antworten zu finden. „Eine kleine Kreatur hat mir gesagt, dass du der Hüter bist. Wenn der Wald mich gerufen hat, dann muss es einen Grund geben.“
Die Augen des Schneewandlers blitzten, und es schien fast, als würde er lächeln. „Du weißt es also nicht,“ murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. Dann richtete er seinen Blick fest auf Lillit. „Das Herz des Winters ist verloren. Es hält die Magie des Waldes am Leben. Ohne es werden die Bäume verblassen, die Tiere verstummen, und die kleinen Wesen, die du gesehen hast, werden verschwinden.“
Lillit sog scharf die kalte Luft ein. „Was kann ich tun?“ fragte sie.
„Das Herz kann nur von jemandem gefunden werden, der mutig ist – und der bereit ist, die Prüfungen des Waldes zu bestehen,“ erklärte der Schneewandler. Er hob einen Arm, und plötzlich begann der gefrorene Teich zu leuchten. Auf der glatten Eisfläche erschienen Symbole – Schneeflocken, die in verschiedenen Mustern angeordnet waren. „Du musst die richtigen Spuren wählen, um den Weg über das Eis zu finden. Doch Vorsicht: Der Wald akzeptiert keine Fehler.“
Lillit betrachtete die leuchtenden Symbole und die glatte Eisfläche. Es gab nur einen Weg hinüber – sie musste die richtigen Schneeflocken auswählen und von einer zur nächsten springen. Doch welche waren richtig? Sie dachte an die Worte des Schneewandlers: „Das Herz des Winters verlangt Mut und Hingabe.“
Plötzlich bemerkte sie, dass einige Symbole leicht pulsierten, fast so, als würden sie atmen. Sie fühlte, wie ihr Herz im gleichen Rhythmus schlug. „Vielleicht sind das die richtigen,“ murmelte sie und setzte vorsichtig eine Pfote auf das erste Symbol, das im gleichen Rhythmus pulsierte.
Das Eis hielt. Erleichtert sprang sie weiter, jedes Mal die Schneeflocken wählend, die im Einklang mit ihrem Herzschlag blinkten. Doch als sie die Hälfte des Teichs überquert hatte, begann der Boden unter ihr zu knacken.
„Beeil dich!“ rief der Schneewandler, seine Stimme jetzt fordernder. „Höre auf dein Inneres!“
Lillit beeilte sich, das Eis zu überqueren, ihr Herz immer schneller schlagend. Das Knacken wurde lauter, doch mit einem letzten mutigen Sprung erreichte sie das andere Ufer, wo die Spuren wieder weiterführten. Als sie sich erleichtert umdrehte, sah sie, dass der Teich sich beruhigte und die leuchtenden Symbole verschwanden. Das Eis war wieder heile, so, als wäre es nie betreten worden.
„Gut gemacht,“ sagte der Schneewandler, seine Stimme nun etwas weicher. „Du hast den ersten Test bestanden. Doch dies ist nur der Anfang. Der Winterwald verlangt mehr von dir, als du dir vorstellen kannst.“
Bevor Lillit antworten konnte, drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. Nur die Spur im Schnee blieb zurück, ein stilles Versprechen, dass das Abenteuer weiterging.