Silver Tree

Die sprechenden Wächter

Lillit folgte den glitzernden Spuren tiefer in den Winterwald. Die Luft wurde kühler, und der schimmernde Schnee reflektierte das Mondlicht so hell, dass es wirkte, als sei die Nacht selbst aus Silber gemacht. Der Schneewandler war verschwunden, doch seine Worte hallten in ihrem Kopf nach: „Der Winterwald verlangt mehr von dir, als du dir vorstellen kannst.“


Plötzlich stoppte die Spur abrupt vor einem großen Baum. Er war anders als die anderen Bäume – seine Rinde war silbrig und schien mit frostigen Mustern überzogen zu sein, die wie alte Symbole wirkten. Lillit spürte, dass dieser Baum etwas Besonderes war. Sie schnupperte vorsichtig an der Rinde, als ein tiefes Grollen sie zusammenzucken ließ.


„Wer wagt es, den Baum der Wächter zu stören?“ ertönte eine Stimme. Es war nicht eine, sondern mehrere Stimmen, die sich miteinander verflochten, wie ein Chor, der aus den Tiefen des Waldes kam. Lillit wich zurück und hob den Kopf.

Dort, auf einem Ast, saßen drei große Eulen. Ihre Augen leuchteten in verschiedenen Farben – Blau, Grün und Gold – und ihre Federn glitzerten im Licht des Waldes. Sie musterten Lillit mit einer Mischung aus Neugier und Ernst.


„Ich bin Lillit Schnüffelnase,“ sagte sie schließlich, ihre Stimme fest, obwohl ihr Herz schneller schlug. „Ich suche das Herz des Winters.“


Die Eulen tauschten Blicke, und die mittlere, deren Augen golden leuchteten, sprach: „Das Herz des Winters ist verloren, und der Wald verblasst. Warum glaubst du, dass du es finden kannst?“


„Weil der Wald mich gerufen hat,“ antwortete Lillit. „Ich weiß nicht, warum, aber ich werde alles tun, um zu helfen.“

Die Eulen neigten ihre Köpfe synchron, als ob sie Lillits Worte abwogen. Schließlich sprach die grünäugige Eule: „Nur wer die Sprache des Waldes versteht, kann das Herz finden. Bist du bereit, dich der Prüfung der Wächter zu stellen?“

Lillit nickte. „Was muss ich tun?“


Die blauäugige Eule hob einen Flügel, und der Schnee um den Baum begann zu glühen. Drei Pfade öffneten sich, jeder von ihnen führte in eine andere Richtung. „Nur ein Pfad führt dich weiter,“ erklärte die Eule. „Die anderen beiden führen dich in die Irre. Wähle weise.“


Lillit schnupperte an den Pfaden, doch sie rochen alle gleich – frisch, wie der Schnee nach einem Sturm. Sie schloss die Augen und lauschte. Der Wind trug ein sanftes Flüstern mit sich, ähnlich dem, das sie in der ersten Nacht gehört hatte. Doch einer der Pfade schien lauter zu flüstern, fast so, als rief er ihren Namen.


„Dieser hier,“ sagte sie und trat entschlossen auf den mittleren Pfad. Die Eulen sahen ihr nach, und die goldäugige Eule rief ihr zu: „Gut gewählt. Doch vergiss nicht: Der Weg wird immer schwieriger, je weiter du gehst.“


Als Lillit den Pfad hinabstieg, hörte sie hinter sich ein weiteres Flüstern. „Wir werden dich beobachten,“ sagte die grünäugige Eule leise, bevor der Wald wieder in Stille versank.


Lillit wusste, dass sie jetzt wirklich allein war. Doch sie spürte, dass sie auf dem richtigen Weg war. Der Winterwald hatte sie nicht nur gerufen, sondern auch akzeptiert – und das Herz des Winters wartete irgendwo auf sie.

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