Lillit folgte den Spuren, die weiter in den dichten Wald führten. Die Dunkelheit um sie herum schien lebendig, doch das sanfte Leuchten der Bäume und Sträucher gab ihr Mut. Sie wusste, dass sie sich auf einer wichtigen Mission befand – das Herz des Winters zu finden und die Magie des Waldes zu retten. Doch was sie noch erwarten würde, blieb ein Rätsel.
Die Spur führte sie zu einer schmalen Passage zwischen zwei alten Bäumen, deren Äste sich wie ein gewaltiges Tor über ihr zusammenwölbten. Als sie hindurchtrat, änderte sich die Stimmung des Waldes. Der Wind verstummte, und die Luft wurde kühler. Es war, als hätte sie eine Grenze überschritten.
Plötzlich hörte sie ein Flüstern, das nicht vom Wind kommen konnte. Es klang leise und drängend, wie das Murmeln vieler Stimmen, die alle gleichzeitig sprechen wollten. Lillit blieb stehen, ihre Ohren zuckten in alle Richtungen. „Wer ist da?“ rief sie in die Dunkelheit.
Die Stimmen verstummten, und für einen Moment herrschte unheimliche Stille. Dann trat ein Schatten aus dem Dunst hervor. Es war keine Gestalt, sondern eine formloses Wesen aus Dunkelheit, das sich wie Rauch über den Boden bewegte. Seine Umrisse flackerten, und obwohl es kein Gesicht hatte, spürte Lillit, dass es sie ansah.
„Du bist mutig, kleiner Hund,“ flüsterte das Wesen, seine Stimme klang wie das Rascheln trockener Blätter. „Doch Mut allein wird dich nicht retten.“
Lillit machte einen Schritt zurück, doch sie hielt den Blick auf den Schatten gerichtet. „Wer bist du?“ fragte sie. „Bist du der Hüter?“
Das Wesen lachte, ein Geräusch, das wie ein Echo im Wald widerhallte. „Ich bin kein Hüter,“ sagte es. „Ich bin ein Teil des Waldes, so alt wie die Magie selbst. Und ich habe eine Frage für dich.“
„Eine Frage?“ wiederholte Lillit, ihre Neugier wuchs trotz ihrer Unsicherheit.
„Ja,“ sagte der Schatten, und sein Körper bewegte sich näher, wie ein Schleier, der sich über den Boden legte. „Antworte wahrheitsgemäß, oder du wirst nicht weitergehen können.“ Der Schatten hielt inne, als ob er ihre Reaktion prüfen wollte. Dann sprach er weiter, seine Stimme wurde dunkler:
„Warum bist du wirklich hier? Ist es Mut, Neugier – oder einfach Angst vor der Welt, die du zurückgelassen hast?“
Lillit fühlte sich von der Frage überrumpelt. Sie hatte nicht erwartet, sich mit ihren eigenen Gedanken und Gefühlen auseinandersetzen zu müssen. War sie aus Mut hier? Aus einer tiefen Neugier? Oder war sie geflüchtet, weil der Wald ihr etwas bot, was ihre eigene Welt nicht konnte?
Sie dachte an die Stille ihres Zuhauses, an ihr schlafendes Frauchen, das Knistern des Kamins, die Geborgenheit, die sie spürte. Und sie dachte an die Magie des Waldes, an die Wesen, die auf sie zählten. Schließlich hob sie den Kopf und sah in die Richtung des Schattens.
„Ich bin hier, weil ich helfen will,“ sagte sie entschlossen. „Ich bin neugierig auf diesen Wald, das stimmt. Aber ich bin nicht geflüchtet. Ich wurde gerufen, und ich glaube, dass ich den Ruf nicht ignorieren darf.“
Der Schatten bewegte sich nicht, aber die Luft um ihn schien sich aufzuhellen, und das Flüstern wurde ruhiger. „Eine ehrliche Antwort,“ murmelte er, fast wie zu sich selbst. „Vielleicht reicht das.“
Plötzlich zog sich der Schatten zurück, seine Form löste sich auf und wurde vom Wind davongetragen. „Du darfst weitergehen,“ sagte er, bevor er völlig verschwand. „Aber denk daran: Die Wahrheit wird dich begleiten – ob du willst oder nicht.“
Lillit atmete tief durch und setzte ihre Pfoten wieder in Bewegung. Die Spur war klar, und obwohl die Begegnung mit dem Schatten sie erschüttert hatte, fühlte sie sich stärker. Sie war auf dem richtigen Weg und nichts würde sie aufhalten.