Majestic Wall

Die flüsternden Felsen

Die Spuren des Hüters führten Lillit weiter, tief hinein in den uralten Teil des Winterwaldes. Nach dem Fluss aus Zeit war alles stiller geworden. Selbst der Wind schien den Atem anzuhalten, und die Bäume um sie herum standen wie Wächter, die schweigend über den Weg wachten. Lillit spürte, dass sie etwas Großem näherkam, doch sie wusste nicht, ob sie darauf vorbereitet war.

 

Vor ihr erhob sich plötzlich eine Felsformation, die wie ein natürlicher Wall aus Eis und Stein aussah. Die Felsen glitzerten im Mondlicht, und ihre Oberfläche war mit seltsamen, alten Symbolen bedeckt. Lillit blieb stehen und betrachtete die Muster. Sie wirkten vertraut, als hätte sie sie irgendwo schon einmal gesehen – vielleicht in ihrer Vision auf der Gläsernen Lichtung.

 

Als sie sich dem Fels näherte, hörte sie ein leises Summen. Es war kein Geräusch, sondern mehr ein Gefühl, das in ihren Ohren vibrierte. Dann begann es zu sprechen.

 

„Wer wagt es, das Reich der flüsternden Felsen zu betreten?“ Die Stimme war tief und vibrierend, als käme sie direkt aus der Erde.

 

„Ich bin Lillit Schnüffelnase,“ antwortete sie mutig. „Ich folge den Spuren des Hüters, um das Herz des Winters zu finden.“

 

Die Felsen schienen zu beben, und das Summen wurde lauter. „Die Spuren mögen dich geführt haben, kleiner Hund, aber der Weg ist noch lang. Wenn du weitergehen willst, musst du die Rätsel der Felsen lösen.“

„Rätsel?“ fragte Lillit, ihre Ohren zuckten neugierig.

 

„Ja,“ dröhnte die Stimme. „Drei Rätsel werden dir gestellt. Löse sie, und die Felsen werden sich öffnen. Scheiterst du, wirst du den Weg verlieren.“

 

Lillit setzte sich, ihre Pfoten fest auf dem Boden, und nickte entschlossen. „Ich bin bereit.“

Das erste Rätsel

Die Symbole auf den Felsen begannen zu glühen, und die Stimme sprach:

 

„Ich bin alt und doch immer neu,
ich bin kalt, doch lebe wie du.
Ich bin klar, doch kann ich dich täuschen.
Was bin ich?“

 

Lillit überlegte. Die Worte klangen vertraut. Etwas Kaltes, das lebendig war … klar, aber täuschend? Dann erinnerte sie sich an den Fluss aus Zeit, an das Eiswasser, das ihr ihre eigenen Erinnerungen gezeigt hatte.

 

„Du bist Eis,“ antwortete sie sicher.

 

Die Felsen summten, und ein Teil der glühenden Symbole verblasste. „Richtig. Das erste Rätsel ist gelöst.“

Das zweite Rätsel

Die Stimme sprach erneut:

 

„Ich bin immer bei dir, doch du kannst mich nicht fangen.
Ich folge dir bei Licht, doch verschwinde in der Nacht.
Was bin ich?“

 

Lillit musste nicht lange nachdenken. Sie hatte oft mit ihrer eigenen gespielt, während sie draußen mit ihrem Frauchen war.

 

„Du bist mein Schatten,“ sagte sie.

 

Wieder summten die Felsen, und ein weiterer Teil der Symbole erlosch. „Richtig. Das zweite Rätsel ist gelöst.“

Das dritte Rätsel

Die Stimme wurde dunkler, ernster:


„Ich bin weder Anfang noch Ende,
doch ich halte die Schlüssel für beides.
Ich bin unsichtbar, doch immer da.
Was bin ich?“

 

Lillit runzelte die Stirn. Dieses Rätsel war schwieriger. Weder Anfang noch Ende? Unsichtbar, doch immer da? Sie dachte an den Fluss, an die Prüfungen, an alles, was sie bisher erlebt hatte. Es war etwas, das sie ständig spürte, aber nie wirklich sehen konnte. Dann kam es ihr: Es war die Zeit.

 

„Du bist die Zeit,“ sagte sie langsam, aber sicher.

 

Die Felsen vibrierten stärker, und die Symbole erloschen vollständig. „Richtig,“ dröhnte die Stimme. „Du hast die Rätsel gelöst, kleiner Hund. Der Weg ist offen.“

Der Weg öffnet sich

Die Felsen glühten ein letztes Mal, bevor sie sich mit einem tiefen Grollen öffneten. Dahinter führte ein schmaler Pfad in eine tiefe, eisige Schlucht, die von einem leichten Nebel bedeckt war. Lillit spürte, dass sie einen großen Schritt näher an den Hüter und das Herz des Winters war.

 

„Gehe mit Bedacht,“ warnte die Stimme der Felsen. „Das, was du suchst, wird nicht ohne Kampf zu dir kommen.“

Lillit nickte und trat vorsichtig auf den neuen Pfad. Die Kälte wurde stärker, und der Nebel legte sich um sie wie ein Schleier. Doch sie war bereit – sie würde das Herz des Winters finden und den Wald retten.

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