Light-Bridge1

Die Lichtbrücke

Nach der Begegnung mit der Dunkelheit bemerkte Lillit, wie die Luft um sie herum klarer geworden war und der Schnee glitzerte nun wieder in sanftem Licht. Der Wald wirkte nicht mehr so dicht – die Bäume standen weiter auseinander und am Horizont leuchtete es golden.

 

Lillit folgte der Spur, bis sie schließlich an den Rand einer gewaltigen Schlucht kam. Diese war so tief, dass sie den Grund nicht erkennen konnte. Über die Schlucht spannte sich eine Brücke, doch es war keine gewöhnliche Brücke. Sie bestand aus reinem Licht, das in den Farben des Regenbogens schimmerte. Es war, als ob der Wald einen Weg aus Magie selbst geschaffen hatte.

 

Während Lillit die Brücke betrachtete, hörte sie eine sanfte Stimme, die aus dem Licht zu kommen schien.

„Du hast die Dunkelheit akzeptiert“, sprach die Stimme. „Doch um das Herz des Winters zu erreichen, musst du auch das Licht verstehen. Die Brücke prüft dich, Sucherin.“

 

Lillit sah auf die Brücke. Sie schien fest zu sein, doch das pulsierende Licht ließ sie auch zerbrechlich wirken. „Was muss ich tun?“, fragte sie. Ihre Stimme ruhig, aber entschlossen.

 

„Überquere die Brücke“, antwortete die Stimme. „Doch sei gewarnt: Der Weg wird dir nicht gezeigt. Du musst ihn erschaffen.“

 

Lillit trat vorsichtig auf die Brücke. Der erste Schritt fühlte sich fest an und das Licht unter ihren Pfoten leuchtete sanft. Doch als sie einen weiteren Schritt machen wollte, schien die Brücke vor ihr zu verschwinden. Nur der Teil, auf dem sie stand, blieb bestehen.

 

Lillit hielt inne. Mit ihrer Pfote trat sie einen Stein in die Schlucht und lauschte, wann er auf den Boden aufschlug. Nach einigen Sekunden hörte sie…nichts. Die Schlucht schien endlos zu sein. Wie war das möglich? Lillit schaffte es gerade noch, ihre aufsteigende Angst zu unterdrücken. Dies war ihre Prüfung, sie musste an sich glauben! 

 

Sie atmete tief durch und stellte sich vor, wie der Weg vor ihr erscheinen würde. Mit geschlossenen Augen setzte sie ihre nächste Pfote nach vorne.

 

Als sie den Schritt machte, begann unter ihr ein neuer Abschnitt der Brücke zu leuchten. Lillit öffnete die Augen und erkannte, dass der Weg nur dann sichtbar wurde, wenn sie ihm vertraute. Schritt für Schritt bewegte sie sich weiter, ohne zu sehen, wohin sie trat. Sie erschuf ihren eigenen Weg.

 

Der Wind um sie herum wurde stärker und die Brücke wackelte leicht, doch Lillit blieb standhaft. Sie dachte an den bereits zurückgelegten Weg und daran, dass sie immer einen gefunden hatte.

 

Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie die andere Seite der Schlucht. Ihre Pfoten berührten festen Schnee und das Licht der Brücke verblasste hinter ihr. Sie drehte sich um und sah, wie die Brücke sich auflöste, als hätte sie nie existiert. Lillit war erleichtert, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Sobald diese Prüfung vorbei war, würde sie sich erst einmal im Schnee wälzen!

 

Vor ihr lag ein neuer Abschnitt des Waldes. Die Bäume waren größer und deren Zweige glitzerten noch stärker als zuvor. Auch die Spur des Hüters war klarer denn je, sie war ihrem Ziel nahe.

 

„Du hast die Prüfung bestanden“, sprach die Stimme erneut, diesmal näher, als ob sie direkt bei ihr war. „Das Licht hat dich akzeptiert, doch das Herz des Winters fordert mehr. Geh weiter, Sucherin.“

 

Mit erneuerter Entschlossenheit setzte Lillit ihren Weg fort. Die Prüfungen hatten ihr viel abverlangt, doch sie war gestärkt aus ihnen hervor gegangen. Sie fühlte sich bereit, dem Herz des Winters gegenüber zu treten. Egal, was noch kommen mochte!

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